Die ersten Bomben fielen um 14.40 Uhr
Zeitzeugen berichten über Luftangriff am 18. April 1945 auf Traunstein – Engländer filmten Einsatz
Traunstein – Die Flieger kamen nachmittags um zehn Minuten nach halb drei. Und Gertraud Waschin fuhr auf ihrem Rad um ihr Leben. Sie sauste, wie die heute 94-Jährige erzählt, aus der Stadt hinunter an die Traun. Als die ersten Bomben auf Traunstein fielen, ließ sie ihr Fahrrad am Viadukt stehen. Sie lief nach Empfing – in die Abgeschiedenheit, wo sie dem Tod entkam. Gertraud Waschin überlebte den Luftangriff der Alliierten am 18. April 1945 auf Traunstein. Sie hatte Glück im Unglück – über 100 Menschen starben.
Bereits am 11. November 1944 und am 20. Januar 1945 waren Bomben auf den Großraum Traunstein gefallen. Laut offiziellen Listen war im November ein Toter zu beklagen, im Januar kam niemand ums Leben. Am 18. April 1945 folgte dann der schwerste Angriff auf die Stadt. Mehrere Hundert Bomber der amerikanischen Luftwaffe vom Typ B 17 „Fliegende Festung“, begleitet von ebenso vielen Jagdbombern, nahmen Kurs auf Traunstein. In vier Wellen brachten sie Tod und Zerstörung. 60 Flugzeuge warfen Bomben auf Oberhaid, die Wegscheid und vor allem den Bahnhof. Die meisten Flugzeuge änderten vor Traunstein ihren Kurs und begaben sich mit eben dem gleichen Ziel der Vernichtung nach Freising. Die traurige Bilanz in Traunstein: 120 Tote. Den Tod fanden Einheimische, ausländische Zwangsarbeiter, Reisende, Junge und Alte.
Ein letzter Luftangriff auf Traunstein war am 25. April 1945. Weitere elf Tote waren zu beklagen.
Den 18. April 1945 stellte der Historische Verein für den Chiemgau zu Traunstein dieser Tage in den Brennpunkt. Über die schrecklichen Ereignisse an diesem und an den anderen Tagen berichteten betagte Senioren: Zeitzeugen, die die damaligen Bombenabwürfe miterleben mussten.
Schienen standen „kerzengerade“ im Trümmerfeld.
Nach dem Luftangriff vom 18. April 1945 war der Bahnhof samt Gleisen und Gebäuden in der Umgebung ein einziges, riesiges Trümmerfeld. Von den Detonationen in die Luft geworfen und dann wieder heruntergefallen, standen die Eisenbahnschienen „kerzengerade wie Bäume“ im riesigen Schutthaufen, erinnert sich Gertraud Waschin. „Alle Wagen waren umgekippt.“
Der Tod kam damals in viele Familien. „Vater sagte, ich schaue nach meinen Rosen“, erzählt Marta Korsiskan. Weg war der Papa – und nie mehr kam er zurück. „Seine Familie war ihm alles“, erzählt seine Tochter. Als er auch am dritten Tag nach dem Luftangriff nicht mehr aufgetaucht sei, habe sie bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch die Zeit der Ungewissheit habe angedauert. „Erst am neunten Tag wurde der Vater gefunden“, erzählt Marta Korsiskan. Der gewaltige Luftdruck habe ihn so weit weggeschleudert, dass er tagelang nicht auffindbar gewesen sei.
Auch Helmut Köppl – der frühere Stadtrat – verlor als Bub damals seinen Vater. Im Fernmeldestörungsdienst war er tätig gewesen. Und nicht irgendwo war Köppls Vater am 18. April 1945 im Einsatz, sondern ausgerechnet an diesem Tag hatte er Innendienst – womit er sich in den Bahnhofsbereich begeben musste. Helmut Köppl erzählt: „Um 13 Uhr fuhr er mit dem Rad zur Arbeit. Gegen 14.30 Uhr kam dann der Alarm.“ Wie Gertraud Waschin suchte auch Helmut Köppl – zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder – an der Traun Schutz vor den Bomben. In ihrem Versteck zogen sie die Köpfe ein. Und als sie sich aufrichteten, dann sahen sie „immer wieder Wolken“ – Wolken, die vom Einschlag der Bomben in der Stadt zeugten.
Als sie nach dem Angriff die Zerstörungen im Bereich des Bahnhofes sahen, hatten die Köppls, die die todbringenden Wellen überlebt hatten, keine Hoffnung mehr für den Vater. „Wenn er da noch drin ist“, sagte Köppls Mutter zu ihren Buben, „dann lebt er nicht mehr“ – was dann auch zwei Tage nach dem Angriff zur traurigen Gewissheit wurde, als man seine Leiche fand.
Nicht nur Traunstein, auch Axdorf und Haslach waren Ziele der Alliierten. „Auf Axdorf fielen 20 Bomben“, berichtet Karl Rosenegger, fünf Tote seien zu beklagen gewesen. Von Haslach nach Axdorf sei „ein Bombentrichter nach dem anderen“ gewesen. Auch Roseneggers Haus blieb nicht verschont. Ein Stein, rund 30 Zentimeter groß, flog, wie er erzählt, bis in sein Zimmer. „Ich konnte zum Heuboden schauen.“
Dietrich von Dobeneck hielt sich zuhause in Haslach auf, als die Flieger kamen. „An unserem Haus schlugen drei Bomben ein.“ Ein Trichter sei bis zum Gebäude gegangen. Die Detonationen führten dazu, wie er weiter erzählte, dass das Haus „wacklig“ war. Behelfsmäßig habe man dann alles „zusammengespannt“. Das Schlimmste sei gewesen, dass die Toilette nicht mehr gegangen sei. Und dann sagt von Dobeneck noch etwas: Als Kind habe er damals die Lebensgefahr wie dann auch das Ausmaß des Leides und der Schäden, die die Bomben erzeugten, „nicht so wahrgenommen“ wie die Erwachsenen.
„Die Amerikaner warfen Bomben, die Engländer filmten es.“
Ehe die Zeitzeugen berichten, hatte der Historische Verein an diesem Abend einen Film vorgestellt, den die Engländer während des Luftangriffes am 18. April 1945 auf Traunstein gedreht hatten. Der Militärhistoriker Thorsten Blascke in Freising hatte ihn zur Verfügung gestellt, Werner Hellmuth vom Historischen Verein in Traunstein präsentierte ihn. Der Film sei ein Zusammenschnitt an Szenen, erklärte Hellmuth, die Orte, die ins Bild kommen, seien auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Weitere Forschungen seien vonnöten.
„Die Amerikaner warfen die Bomben, die Engländer dokumentierten es“, sagte Hellmuth. Er erläuterte unter anderem die Formation, die die Alliierten flogen, und die Route, die sie – wahrscheinlich – nahmen.
Hellmuth nannte auch die Gründe für die Luftangriffe auf Traunstein: Die Alliierten zerstörten den Bahnhof, weil über ihn die Lieferungen nicht nur aus der zwölf Kilometer entfernten Heeresmunitionsanstalt – auf ihren Resten wuchs nach dem Krieg die Stadt Traunreut –, sondern auch der Gasmunitionsfabrik Hörpolding gingen. Außerdem habe das Gerücht die Runde gemacht, so Hellmuth, dass die Alliierten das Umspannwerk zerstörten, weil sie glaubten, dass diese Station das Führerhauptquartier am Obersalzberg mit Strom versorgte.
Von Gernot Pültz (Chiemgau Zeitung)
Nur noch ein riesiges Trümmerfeld war der Bahnhof samt Umgebung nach dem Luftangriff der Alliierten am 18. April 1945.
Fotos Heimathaus Traunstein